Band zwischen Cuxhaven und Burkina Faso

aus Cuxhavener Nachrichten vom 04.03.2023

 

Das Sonnabend-Gespräch: Kathrin Seyfahrt und ihr besonderes Engagement in Afrika

 

Kathrin Seyfahrt, Gründerin des Vereins „Wunschträume – Netzwerk für Frauen- und Mädchenprojekte e.V.“ Foto: privat
Im Januar ging Kathrin Seyfahrt auf eine ganz besondere Reise. In Burkina Faso feierte sie – mit dem deutschen Botschafter als Ehrengast – den 20. Geburtstag ihres Vereins und ihrer eigenen Projekte in Afrika. Redakteurin Maren Reese-Winne hat mit ihr über ihre Arbeit gesprochen.

Frau Seyfahrt, in schwierigen Zeiten neigen viele dazu, ihren Blick erst mal auf die nächste Umgebung zu richten. Warum ist es wichtig, auch über Grenzen zu schauen und in scheinbar unerreichbaren Ländern wie Burkina Faso Hilfe zu leisten?

Eine schwer zu beantwortende Frage, finde ich. Und ja, ich werde auch immer wieder gefragt, warum ich mich in Afrika engagiere. Es hat sich im wahrsten Sinne des Wortes im Laufe meines Lebens so ergeben. Natürlich ist es gut, den Blick auf die Umgebung zu lenken, denn vor der eigenen Haustür gibt es meistens auch sehr viel zu tun. Dennoch hat mich immer erschreckt, dass es noch so viel mehr Not und Elend woanders auf der Welt gibt. Dürre, Hunger, Terror, Missbrauch beherrschen so viele Länder Afrikas. Und der westafrikanische Binnenstaat Burkina Faso zählt zu den ärmsten. Durch zunehmende terroristische Gewalt leider auch immer mehr zu den gefährlichsten und unsichersten. Umso wichtiger, denke ich, ist es, den Menschen durch Bildung und Ausbildung, medizinische Versorgung und Grundnahrungsmittel zu Lebensperspektiven zu verhelfen. Man wird demütig, wenn man zurückkommt von einer Projektreise und sieht, wie man selbst leben darf.

Sie gehen offen mit Ihrer überwundenen Magersucht-Erkrankung um und diese hat auch mit Ihrem heutigen Engagement zu tun. Wie ist es dazu gekommen?

Während eines Klinikaufenthalts verspürte ich, dass ich eines Tages über dieses Thema Aufklärungsarbeit leisten wollte. Das habe ich später auch ehrenamtlich bei einem Telefonnotruf  für Suchtgefährdete getan und 1994 die Selbsterfahrungsgruppe „Essrunde“ in München gegründet.  In der Zeit entstand auch mein Buch „Mein Weg aus der Magersucht“. Ein Beitrag über Karlheinz Böhms Engagement in Äthiopien hat in mir schlagartig das Bewusstsein für den Unterschied zwischen Wohlstandshunger und Armutshunger geweckt. Das hat mich sehr beeindruckt und ich hatte direkt die Idee, einen Radiobeitrag zu machen. Für die Recherche  habe ich dann auch Karlheinz Böhm besucht, das war 1998; mein erstes Mal in Afrika überhaupt.

Was ist dort passiert?

Zweihundert Kilometer nördlich der Hauptstadt Addis Abeba, in Merhabete, besuchte ich ein Projekt von Karlheinz Böhms Äthiopienhilfe  „Menschen für Menschen“. Zum ersten Mal in meinem Leben kam ich mit den Ärmsten der Armen in Kontakt, stand mitten unter ihnen oder wurde in manche Hütte gebeten. Voller Eindrücke, Bilder, Gerüche und Geschichten, die mich zutiefst berührt und mich nie mehr losgelassen haben, kehrte ich mit einer Vision nach Deutschland zurück – mit der Vision nämlich, dass ich eines Tages eine eigene Organisation gründen würde.

 Was hat Sie dazu genau motiviert?

Zunächst mal wollte ich etwas Sinnvolles tun und mich hatte der Ansatz Karlheinz Böhms – niemandem von oben etwas überzustülpen und den Menschen lediglich das Rüstzeug zu geben, um selbst aktiv zu werden – vollends überzeugt. In den kommenden Jahren fuhr ich noch mehrfach nach Äthiopien, aber auch zu Projekten anderer Organisationen wie der Christoffel-Blindenmission oder dem Christlichen Entwicklungsdienst CED  unter anderem in Uganda, Tansania und Südafrika. Ich habe überall unendlich viel gelernt. Meine eigene Organisation sollte schwerpunktmäßig Mädchen und Frauen unterstützen. Ich wollte auch kleine und kleinste Projekte, die oft eine wertvolle Arbeit leisten, bekannt machen – auch weil ich finde, dass  ich schon viel Glück in meinem Leben gehabt habe. Dass ich in einem Land geboren und aufgewachsen bin, in dem es den meisten Menschen sehr gut geht, in dem es jegliche ärztliche Versorgung, sauberes Trinkwasser und ausreichend zu essen gibt. Ein Land, in dem jedes Kind eine Schule besuchen darf, in dem niemand barfuß gehen muss und die meisten Menschen einen Job haben. Ein Land vor allem aber, in dem ich als Frau Rechte habe.

Es ist zu spüren, wie sehr ihnen das Schicksal von Mädchen und Frauen am Herzen liegt. Das haben sie auch im Namen ihres Vereins verankert: „Wunschträume/Netzwerk für Mädchen- & Frauenprojekte e.V.“.

Im Zuge meiner Recherchen fragte ich Mädchen und Frauen immer wieder nach ihren Wunschträumen. Da kamen dann die elementarsten Bedürfnisse:  Wasser, Essen, ein Paar Schuhe, Schule. Die Schwerpunkte unserer  Projektförderung liegen  bewusst in der Bildung und Ausbildung, in der Gesundheitsförderung und Aufklärung über die weibliche Genital-Verstümmelung  sowie  in der  Wasserversorgung. Wir unterstützen auf materielle und ideelle Art Menschen in unseren Projekten in Burkina Faso, Tansania, aber auch München und Cuxhaven mit dem Ziel, ihr Leben aus eigener Kraft gut zu bewältigen. Hinter „Wunschträume/Netzwerk für Mädchen- & Frauenprojekte e.V.“ steckt ein kleiner engagierter Personenkreis, der als gemeinnütziger Verein gezielt humanitäre Hilfe möglich macht, unabhängig von jeglicher Religionszugehörigkeit.

 Wie kommt es eigentlich, dass Sie ausgerechnet Burkina Faso gewählt haben?

Also erstmal hat mich die Liebenswürdigkeit und Offenheit der Burkiner  sofort gefangen genommen. Aber das konnte ich ja vorher nicht wissen. Der erste Kontakt entstand durch Bekannte, die mir von  einer winzig kleinen Schule erzählten, die durch einen privaten Freundeskreis finanziert wurde.  2006 fuhr ich mit einem Burkiner aus München das erste Mal dorthin – direkt in den Norden ins Dorf Pétessiro, das eine Krankenstation benötigte. Die Schule Wend Raabo (deutsch: Gottes Wille) habe ich mit ihren damals 315 Schülerinnen und Schülern auch das erste Mal besucht. Hier hat sich inzwischen ein ganzer Schulkomplex entwickelt mit Grundschule, Höherer Schule, Lyzeum, Kindergarten und Ausbildungszentrum für Mädchen. Gegenwärtig besuchen 1050 Kinder und Jugendliche diesen Schulkomplex. Alle bekommen täglich eine warme Mahlzeit. Außerdem ist  ein kleines Waisenhaus angeschlossen, eine Bibliothek und eine Kranken- und Sanitätsstation. Des Weiteren sind wir in drei Dörfern tätig, in denen wir Krankenstationen, Brunnen, Schulen, Ausbildungszentren oder Gärten für Frauen gebaut haben.

Am  6. Februar wurde der Internationale Tag gegen die weibliche Genitalverstümmelung begangen, am 8. März ist Internationaler Frauentag. Zeit, Bewusstsein zu wecken. Was können Sie konkret tun, damit Frauen und Mädchen jener grausame Akt erspart bleibt?

Weltweit sind ca. 200 Millionen Mädchen und Frauen an ihren Genitalien verstümmelt, mehr als 20.000 von ihnen leben in Deutschland. Unser Verein arbeitet  in Burkina Faso eng mit der Organisation Bangr Nooma und seiner Gründerin Rakieta Poyga zusammen. Unterstützt wird in erster Linie die ständige Aufklärungsarbeit, denn Bangr Nooma bedeutet:  „Es gibt nichts Besseres als Wissen“.  So werden in den Dörfern sogenannte Animateure und Animatricen ausgebildet, die  gegen die schädliche Tradition wirken und über die oft schweren gesundheitlichen Folgen aufklären. In den Dörfern, in denen wir Projektarbeit leisten, sind auf diese Weise in den letzten vier, fünf Jahren schon keine Mädchen mehr beschnitten worden. Auch hier in Deutschland möchte ich weiter Bewusstsein schaffen. Ein Vortrag ist in Vorbereitung!

Sie haben lange in München gelebt und sind erst spät zu einer Bewohnerin Cuxhavens geworden. Was verbindet Sie mit Cuxhaven?

Nach Cuxhaven kam ich das erste Mal seit meiner Kindheit wieder im August 2013 durch meinen Lebensgefährten, er ist gebürtiger Cuxhavener und wohnt in Hamburg und Döse. Für mich hat sich ein Kreis geschlossen: Genau 100 Jahre vor mir wurde in Döse meine Urgroßmutter mütterlicherseits geboren, die dann nach Hamburg heiratete. Ich war gleich begeistert und war fortan oft in Cuxhaven. Seit meinem Vorruhestand im Sommer 2015 über immer längere Zeitabschnitte und fest seit Januar 2018. Bereut habe ich diesen Schritt keineswegs. Im Gegenteil. Heute bin ich hier gut vernetzt und mit meinem Verein unterstützen wir zwei kleine wunderbare Organisationen hier: die Hanel Senioren Stiftung und die Bürgerküche e.V. Außerdem werden auch aus Cuxhaven unsere Projekte in Burkina Faso unterstützt. Allen voran vom Shanty-Chor Cuxhaven (insbesondere für Wasser) sowie durch viele Bürgerinnen und Bürger. Ihnen allen an dieser Stelle ein herzliches „Barka“ – „Merci“ – „Danke“.

Wo kann man das nächste Mal mit Ihrem Verein in Berührung kommen? Was planen Sie für dieses Jahr und wer kann wie helfen?

Um die vielfältigen Projekte weiter fördern und ausbauen zu können, benötigen wir weiterhin Unterstützung. Da liegt mir besonders am Herzen, dass alle Kinder und Jugendlichen der Wend Raabo-Schule täglich eine warme Mahlzeit bekommen. Die 30 Cent am Tag sind für viele Eltern zu viel. Die Getreideblockade in der Ukraine und der Klimawandel verschärfen das Problem. Unser großes Ziel ist es, 1000 Spenderinnen oder Spender zu finden, die monatlich fünf Euro überweisen, um jedem Kind mit einer warmen Mahlzeit das Lernen und das Leben zu erleichtern. 2023 blicken wir außerdem zurück auf 20 Jahre Wunschträume. Nach der ersten Feier dazu am 11. Januar in Burkina Faso sind zwei weitere Jubiläumsfeiern geplant: in Cuxhaven am 15. September unter Schirmherrschaft von Uwe Santjer und mit dem Shanty-Chor Cuxhaven; und in München am 12. Oktober unter Schirmherrschaft von Alt-OB Christian Ude. Des Weiteren sind Vorträge geplant sowie eine Veranstaltung für die Interkulturelle Woche. Diese Termine werden rechtzeitig bekannt gegeben. Alles Aktuelle ist regelmäßig auf unserer Website www.netzwerk-wunschtraeume.de zu finden.

Am 11. Januar tauschte sich Kathrin Seyfahrt bei der Jubiläumsfeier im von ihr unterstützten Wend Raabo-Schulkomplex mit dem deutschen Botschafter Dr. Andreas Pfaffernoschke aus. Foto: Walter Korn

Zur Person

Kathrin Seyfahrt wurde 1952 in Hamburg geboren, wo sie auch ihre Kindheit und Jugend erlebte. Von 1973 bis 2015 lebte sie in München und war unter anderem als Hörfunkjournalistin für den Bayerischen Rundfunk tätig, schrieb vier Bücher und 29 große Hörfunkbeiträge. Im Jahr 2003 gründete sie ihren Verein „Wunschträume/Netzwerk für Mädchen- und Frauenprojekte e.V.“ und ist seither dessen 1. Vorsitzende. Im Mittelpunkt stehen Projekte im westafrikanischen Land Burkina Faso.

aus Cuxhavener Nachrichten vom 04.03.2023

Wunschträume/Netzwerk für Mädchen- & Frauenprojekte e.V.

Website: www.netzwerk-wunschtraeume.de – E-Mail: netzwerk-wunschtraeume@web.de

(Steuer-Nr.: 143 / 224 / 60660)

Spendenkonto: ‚Netzwerk Wunschträume

IBAN: DE24 7002 0270 0036 2636 44 – BIC: HYVEDEMMXXXHypoVereinsbank
oder
IBAN: DE51 2005 0550 1318 1201 83 – BIC: HASPDEHHXXXHamburger Sparkasse

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